Donnerstag, 23. September 2010

Tag 8, Baikalsee

Ich erwache in dem schäbigen Zimmer, das immer noch nach ihr riecht, dusche ausgiebig, schaue auf die Uhr, das Frühstück habe ich verschlafen. Es ist kalt hier, nicht so kalt wie in Irkutsk, der Baikalsee dient als ungeheurer Wärmespeicher. Das Wetter kommt hier etwa 3 Wochen verzögert, wenn es in Irkutsk Winter ist, sind die Temperaturen hier oft noch angenehm, obwohl Irkutsk höchstens eine Stunde entfernt ist. Ich gehe das Ufer entlang, halte Ausschau nach dem Cersko-Felsen, von wo man die beste Aussicht haben soll. Auf einem Schild lese ich etwas, von dem ich hoffe, dass es „Skilift“ bedeutet und folge dem Weg durch die Wälder, plötzlich taucht ein Tier vor mir auf. Ich denke zuerst es ist ein kleiner und, e hat aber einen zu grossen, pelzigen Schwanz, bevor ich ein Foto machen kann, ist es verschwunden. Ich denke es war ein Zobel, sein Schwanz hat jedenfalls so ausgesehen, als würde er einen schönen Mantel abgeben. In einer Lichtung im Wald entdecke ich den Sessellift, er läuft nicht, trotzdem gehe ich hin. Eine alte Frau hockt in einem kleinen Häuschen, ich kaufe ein Ticket, sie deutet auf den Lift. Ich setze mich, donnernd erwacht die Maschine zum Leben.




Schon in Listwjanka ist mir aufgefallen, dass die Hauptsaison wohl vorbei ist, viele der Restaurants bleiben geschlossen, in meinem ziemlich grossen Hotel hat es vielleicht zwanzig Gäste. Die Landschaft ist unglaublich, hinter mir erstreckt sich, von bunten Bäumen eingerahmt der gewaltige See. Auf Cerskovs Fels angekommen, verschlägt es mir den Atem, so gewaltig erscheint der See. Ich setze mich hin, rauche, vom Anblick in eine Art Dauerrausch versetzt, mache ich ein Photo und Film nach dem andern, als bräuchte ich einen Beweis, um später noch sicher zu sein, dies wirklich gesehen zu haben. Ich setze mich auf die Erde, starre unentwegt auf das sich stets verändernde Panorama. Hier ist die Stelle, wo der Fluss Angara den Baikalsee verlässt. Angara ist der einzige Abfluss und würde man die 336 Zuflüsse unterbinden, würde es trotzdem noch drei Jahre dauern, bis der See vollständig abgeflossen wäre. Der Baikal bildet das grösste Reservoir flüssigen Süsswassers der Erde mit einem Fünftel der flüssigen Süsswasserreserven.

Die Geländer des Unterstands und die Gebüsche auf dem Felsen sind voll mit Bändel von früheren Besuchern. Dieser Brauch geht auf die sibirischen Ureinwohner zurück, wenn man etwas von sich in den Wäldern zurücklässt, bevor man weiterzieht, stimmt man die lokalen Waldgeister gnädig. Ich will auch etwas zurücklassen, denn für meine weitere Reise brauche ich jeden wohlgesinnten Geist, den ich kriegen kann. Ich habe nichts dabei, nur ein Pflaster und das scheint mir irgendwie unpassend. Ich schaue auf mein Handgelenk, wo ein Bändel ist. Diesen Bändel habe ich vor über zehn Jahren angelegt, er erinnert mich an eine wichtige Zeit in meinem Leben und er ist seither nicht abgefallen. Ich ziehe probeweise daran und beinahe sofort reisst er ab. Ich stutze. Zehn Jahre. Diejenigen von euch die mich schon mal näher betrachtet haben, kennen den Bändel. Offensichtlich soll ich ihn hierlassen, also binde ich ihn an einen Ast.







Nach einer Weile reisse ich mich los, mache mich an den Abstieg, taste beständig über das nun nackte Handgelenk. Unten am See angekommen, setze ich mich an das Denkmal des Schriftstellers Aleksandr Vampilov, er ist an dieser Stelle bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen.



Der See ist so sauber, dass sein Wasser in ganz Russland als Trinkwasser in Flaschen verkauft wird und die Menschen es auch direkt daraus trinken.




Ich könnte mein Leben damit verbringen, den Baikal zu betrachten und es wäre kein verschwendetes Leben gewesen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen