Mittwoch, 29. September 2010

Tag 13, Terelj

Wir fahren aus Ulaan Baator heraus. Die Stadt ist voller Gegensätze. In der Innenstadt findet man Hochhäuser, Pubs, gestresste Menschen und äusserst modisch gekleidete, wunderschöne Frauen, was nicht verwunderlich ist, wenn die Kleiderfabrik der Welt sozusagen vor der Türschwelle liegt. Nur ein paar Kilometer draussen dann merkwürdige Felsformationen, es scheint, als wären riesige Kieselsteine zusammengeklebt worden. Dazwischen Jurten oder Ger, wie sie auf mongolisch heissen. Wir besuchen ein Kloster oder besser Meditationshalle, denn anders als in der gängigen Vorstellung sind die buddhistischen Mönche in der Mongolei keine Vollzeitmönche, sie treffen sich zum Morgengebet und gehen so um 16 Uhr wieder nach Hause und leben als Zivilisten weiter. Es ist ein lukrativer Beruf, die Menschen gehen zu ihnen, geben ihnen Geld und die Mönche beten für sie, lesen tibetische Schriften, die Hälfte des Geldes geht ans Kloster, die andere Hälfte behalten sie.


Die Mongolen verstehen die tibetische Sprache auch nicht, sie lesen keine buddhistischen Bücher, sie gehen in den Tempel, drehen die Gebetsmühlen, verneigen sich, spenden, beten, aber die Geheimnisse des Buddhismus sind den Mönchen vorbehalten.




 

Ich fühle mich ungeheuer wohl in dieser skurrilen Landschaft, die Mongolen lachen viel und gern, sind viel weniger verschlossen als die Russen, Djerra und Ganna bilden da keine Ausnahme. Wir sitzen am Fusse des Schildkrötenfelsen, der wirklich aussieht wie eine Schildkröte und im mongolischen Glauben ein heiliges Tier ist. Die Felsenschildkröte steht hier, so der Volksglaube, um den Meditierenden zur Seite zu stehen, ein Vorbild mit seiner stoischen Gelassenheit.

 

Wir schauen Sumoringen und trinken Bier. Die letzten fünf Jahre haben sich zwei Mongolen als Champions abgewechselt, eine ungeheure Leistung für ein Land, dass nur etwas weniger als 3 Millionen Einwohner hat (das verhältnismässig am dünnsten besiedelte Land der Erde) und ein Schlag ins Gesicht der Japaner, die diesen Sport seit Jahrtausenden ausüben. Wenn der mongolische Champion Mönchbatyn noch zehn Kämpfe am Stück gewinnt, bricht er einen Rekord, der seit 1931 besteht, Die Japaner haben seit ein paar Jahren auch Ausländern erlaubt am Sumoringen teilzunehmen, da die Zuschauerzahlen schwanden und man sich von den ausländischen Ringern neue Popularität verspricht, was auch funktioniert. Gewinnt man als mongolischer Ringer ein Turnier bekommt man eine Wohnung in der Stadtmitte von Ulaan Baator, ein Auto und gilt als Held.   
Wir sitzen in der Jurte, einem Treffpunkt für die Nomaden der Gegend und alle paar Stunden kommen Teller mit Essen. Meistens ein Teller voll mit Fleisch (welches nicht mit irgendwelchen Chemikalien behandelt wurde, die Kühe und Yaks grasen ihr Leben lang und dann werden sie geschlachtet, das Fleisch hat mit unserem Fleisch nichts zu tun, mangels eines besseren Wortes würde ich sagen es hat Charakter, ich kann davon nicht genug bekommen), als Hauptspeise. Als Nebengericht gibt es Suppe mit Fleisch und Teigtaschen, gefüllt mit Fleisch. Wir rauchen sehr viel, die Stange Zigarette kostet hier 10 Dollar und niemand scheint je etwas von der schädigenden Wirkung des blauen Dunstes gehört zu haben, das Volk der letzten unbelasteten Raucher.


Nach einer Weile steigen wir auf Vodka um, welcher in der Mongolei eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hinter sich hat, mittlerweile gibt es über hundert Sorten. Djerra hat mir ganz stolz vom Dschingis Kahn Vodka erzählt, dem zu Ehren ganz St. Moritz in mongolisches Gewand gehüllt wurde und der zahlreiche Preise gewonnen hat, also trinken wir den. Ganna und ich tun so, als wäre es der beste Vodka der Welt machen „mmmh“ und „oohhh“, um Djerra zu verarschen, der wegen einer Kopfverletzung nicht trinken darf. Einheimische gesellen sich zu uns, trinken mit, bieten uns von ihrem Vodka, ihrem Essen an.
In der Mongolei, besonders auf dem Land, ist es Tradition und beinahe eine Art Gesetz, alles mit allen zu teilen. Man könnte, selbst als Ausländer, ohne einen einzigen Tugrug durch die Mongolei reisen und würde trotzdem überall Obdach und Verpflegung finden. Schon ziemlich angeheitert beschliessen wir, reiten zu gehen. Es ist unbeschreiblich. Mit einem Schlag wird mir bewusst, dass ich mitten im mongolischen Niemandsland einem Pferd die Sporen gebe und „tscha, tscha!“ rufe, um es anzutreiben.

 

Als es dunkel wird, gehen wir ins Ger zurück, trinken weiter, alle fünf Minuten schenken wir nach, sagen „Mende“, was „zum Wohl“ bedeutet und trinken auf Ex. In der Mongolei kennt man keine Mischgetränke, man trinkt pur und nur die Frauen trinken schluckweise. Nach einer Weile haben wir zu dritt eine Flasche geleert, dazwischen gibt es mongolischen Tee (Grün oder Schwarztee, lange gekocht, dann wird Salz und Yakmilch hinzugegeben und nochmals lange gekocht, es gibt ihn überall umsonst zum Essen), Brot und Wurst. Djerra, der mittlerweile trotz der Kopfverletzung auch mit trinkt, erzählt, dass er in einem Jahr ein eigenes Geschäft eröffnen will, um Touren zu Pferd, Motorrad oder Fuss zu organisieren und noch einen Namen sucht. Seine Idee ist „Bussard-Reisen“, in der Mongolei gibt es fast jede Art von Greifvogel. Ich erinnere mich, dass er mir von den vielen Wölfen in der Mongolei erzählte und schlage „Lupus Reisen“ vor. Das gefällt ihm. Alle gängige Klischees und Namen wie „Blue Sky“(welcher in der Mongolei heilig ist) „Khan Reisen“ oder „Nomad Travel“ (meine anderen Vorschläge) sind schon besetzt und man darf hier keinen Namen zweimal haben, selbst wenn der Name einem Hotel und keinem Reisebüro gehört.
Der alte Wirt kommt zu uns und plappert, ich versteh nur das Wort „Show“. Djerra erklärt; Wenn die Menschen in Ulaan Baator mal richtig feiern wollen, trommeln sie ihre Leute zusammen, packen den Wagen voll mit Vodka, Bier, Essen und fahren in die Wildnis zu den Nomaden hinaus. Die vermieten dann ihre als Restaurant eingerichtete Jurte für 20'000 Tugrug, lassen Musik laufen, man feiert ausgelassen und torkelt dann im Morgengrauen zu den Nomaden, um dort zu übernachten. Das nennt man „Show“ und der Wirt sagt, dass wir im Winter zu ihm kommen sollen, um „Show“ zu machen, da wir nach der heutigen Trinkerei, die immer von mongolischen Gesängen unterbrochen wird, wohl als vielversprechende Kunden für so einen Ausflug erscheinen. Ich muss mir unbedingt die „geheime Geschichte der Mongolei“ kaufen, ein Buch aus der Zeit von und über Dschingis Kahn.

Es ist Nacht oder schon Morgen, ich sitze in meiner Jurte, Djerra und Ganna schnarchen und ich tippe Eindrücke in meinen Laptop, das Feuer im Ofen ist schon längst aus und es ist kalt, in der Nacht sinken die Temperaturen hier unter den Nullpunkt. Obwohl mein Hals schon rau ist, gehe ich hinaus, um zu rauchen. Die Luft ist beissend, der Vollmond (ich weiss, dass es Vollmond ist, weil die Mongolen ihren Kalender nach dem Mond ausrichten und dies eine so grosse Rolle für ihr Leben spielt, dass beim Essen lange darüber geredet wurde) ist kaum zu erkennen. Einer der Alten hat vorhin erzählt, dass hier in der Nähe ein grosser Steppenbrand tobt. In der Ferne sieht man schwach ein unruhiges Flackern. Ein Hund bellt. Das nächste Dorf ist dutzende Kilometer entfernt und doch höre ich ihn so klar und nah, als sässe er auf meinem Schoss. Seit dem Beginn meiner Reise fühle ich mich zum ersten Mal richtig zu Hause. Wegen den Visaproblemen war ich zum Schluss hin wirklich froh, Russland endlich hinter mir zu lassen, aber hier will ich nicht weg.
Ich will eine der mongolischen Frauen mit in meine Jurte nehmen und im Schein des heiligen Feuers sieben Kinder grossziehen, für jeden Tag der Woche eines, will reiten, will den Rest meines Lebens unbehandeltes Fleisch essen, will meinen Kalender anhand des Mondes bestimmen, will lachen, wie die Menschen hier es tun, ohne Ironie und Sarkasmus, will überall rauchen können, ohne die Konsequenzen zu kennen, aber mehr als alles will ich diesen Blick. Eines Tages diesen Blick, den die Alten hier haben, der in die die Ferne gerichtet ist, selbst wenn sie einem direkt ansehen.

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