Donnerstag, 2. September 2010

... Noch 10 Tage

Noch 10 Tage, dann beginnt die Reise. Zwei Wochen im Zug, dann Peking, dann Nordkorea, dann möglichst ziellos weitertreiben. 10 Tage, warten, trinken, rauchen, an Orte denken, die man von Bildern kennt und von Menschen gelehrt bekommen hat, die nie weiter als zur Adria vorgedrungen sind. Warten. Nicht 10 Tage, sondern ein ganzes Leben. Fühle mich nicht nach Schreiben. Schreiben ist Reflexion, ist Nachdenken, ist Handwerk, also genau, was ich vermeiden will, doch werden meine Gedanken in den nächsten Monaten meine einzigen Begleiter sein, also scheint es vernünftig, sich langsam an sie heran zu tasten, den Nebel von Sicherheit, sicherem Umfeld, gesichertem Sich zu lüften, die Person, die ich so lange im Rausch glücklich umherirren liess, kennen zu lernen. Blind Date.
Der Mensch, der mir entgegen schaut, scheint vertraut, hat eine neue Falte zwischen den Augen und einen grösseren Bauch. Die Zeilen quälen sich mühsam dahin, habe zu lange nicht mehr geschrieben, die Metaphern bleiben Metaphern, es gelingt mir nicht, ihre Spur so zu verwischen, dass man sie nicht mehr als plump und gesucht empfindet, doch die Zeilen müssen sein, wenn ich als Geist durch die Welt irre, sind sie das einzige, was mich dauerhaft und manifest macht. Selbstgespräche sind gefährlich, wenn nicht eine der Stimmen eine vernünftige auf Papier ist. Man schrumpft ziemlich schnell auf die eigene Substanz, wenn man alles Bekannte hinter sich lässt. Was sich in der bekannten, jahrelang gebauten Welt überspielen lässt, dringt kantig und kalt hervor. Angst, von Hippies als positiv zu wertender Antrieb verklärt, muss überwunden werden, immer wieder, bis sich eine Routine einstellt. Angst, in der Ferne, nicht das zu finden, was man ein Leben lang als Entschuldigung für das Leben im Hier gebraucht hat, was das Leben hier als Zwischenstation erscheinen liess, nein, das ist sie nicht, das ist schon wieder Einordnung, Logik. Angst ist nicht logisch. Angst vor der Einsamkeit, denn die Einsamkeit hier ist eine gewollte, eine Art Luxus, sich der hiesigen Welt entziehen zu können. Was wenn sie nicht Luxus sondern alles wird? Ein Leben lang ein Leben aufgebaut, eine Persönlichkeit, die möglichst gut ins Hier passt und die Frage, ob sie im Dort auch funktioniert, ob sie in einer anderen Sprache funktioniert, ob sie ohne Umfeld funktioniert. Die Frage, wovor man flieht und die Versicherung für sich selbst, dass man nicht flieht sondern strebt, die lauernde Möglichkeit, dass die Dämonen mitreisen, in der Ferne vielleicht sogar stärker werden, regelrecht aufblühen, die Frage, ob die Annehmlichkeiten im Hier sie überhaupt erst im Zaun gehalten haben.

Viele denken, ich reise, um mich selbst zu finden, scheinbar ist das ein verbreiteter Reisegrund, doch ist dies wohl genau die Wurzel der Angst. Ich. Im Hier kann man sich gut aus dem Weg gehen, ein Zweckbündnis eingehen, ich sorge für den gelegentlichen Rausch, für die gelegentliche selbstreinigende Diskussion, hole gelegentlich Komplimente und Anerkennung ein, um das Selbstwertgerüst aufrecht zu erhalten, dafür verschone ich mich vor groben Aussetzern wie Depression oder Drogensucht.
Was nun wenn ich mit mir zusammen komme, irgendwo im chinesischen Hinterland? Wenn ich mich in meinem hiesigen Umfeld umschaue, gibt es eine Sache, die uns vereint; Das Warten. Die Positiven warten auf Liebe, Heirat, Pillen, die mehr als Aspirin enthalten, Reichtum, die Negativen auf Krankheit, Liebeskummer, Tod. Allen gemein ist, dass sie auf etwas warten, dass ihnen die Entscheidung abnimmt, etwas, das ihr Leben unwiderruflich bestimmt, warten auf Sinn. Ich versuche nun, dem Schicksal diese Entscheidung abzunehmen, selbst die Kerbe ins Leben zu schlagen, die Zäsur zu setzen, denn die Kerben, die das Leben schlägt, behagen mir nicht, so verzwickt und von langer Lebensdauer sie sind. Lange genug habe ich mit diesem verweichlichten, angepassten, kompromissbereiten Menschen gelebt, es wird Zeit, dass sich seine Gedanken klären, das Umherirren bewusst und nicht aus Faulheit und Schicksalsergebenheit geschieht, es ist an der Zeit dieser Simulation im Hier, bespannt mit Sicherheitsnetzen und Ausreden zu entfliehen, einem Hier, in dem die Herausforderungen künstlich sind, denn hinter eine wahre Herausforderung kann man nicht blicken. Hier ist Simulation und Simulation funktioniert nur, wenn man sie als Simulation erkennt und Herausforderung eben gerade nicht. Hier sind die Prüfungen schriftlich.

Noch 10 Tage. Merkwürdig, wie unterschiedlich Zeit sein kann. Ich habe ganze Jahre nicht so intensiv gelebt wie die letzten Monate, das Problem ist nur das Intensität eine Sucht ist, wahrscheinlich die einzige Sucht überhaupt, hat man sie einmal gekostet, lechzt man danach, häuft Situationen an, legt sie übereinander und versucht sie auf einen Schlag zu erleben, wenn nicht real dann künstlich. Schon lange lebe ich in der Nacht, einer Welt gerade unter der Oberfläche des Tages, eine einsame Welt, allerdings voller Wunder und voll der genannten Intensität, nicht nur gehe ich vom Hier ins Dort, ich gehen auch von der Nacht in den Tag. Nachtleben setzt Kenntnis der Menschen und Umgebung voraus, setzt jahrelange Erfahrung mit dem lokalen Tag voraus, bevor man sich in die Nacht hinauswagen und den Tag hinter sich lassen kann. Die Länder der aufgehenden Sonne sind Länder des Tages, zumindest in meiner Vorstellung, mit meinen drei Habseligkeiten bleibt also auch der Nachtmensch zurück. Du wirst mir fehlen, Tramschienenschleifer.


Wenn ich eine andere Sprache spreche, spricht auch eine andere Persönlichkeit, der zur Verfügung stehende Wortschatz diktiert die zur Verfügung stehende Person, auf englisch bin ich sitcommässig witzig leicht auf französisch sartre-existenzialistisch und abgeklärt gleichgültig. Was bleibt übrig, wenn ich nicht sprechen kann? Wenn das aufgebaute Leben auf einen 70 Liter Rucksack und ein paar halbgare Gedanken schrumpft? Ich?

1 Kommentar:

  1. Auf die Essenz kommt es an. Klingt nach einem spannenden Destillierungsprozess, was Du da vor hast. Merde!

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