Samstag, 2. Oktober 2010

Tag 15, Transsib nach Beijing

Ich habe etwas verschlafen und muss im Schnelldurchlauf duschen und packen. Als ich nach unten komme, sitzt Djerra da, in einem Stuhl der Hotellobby, schläft tief und fest und hält eine halb geleerte Flasche Bier in der Hand, die auf den Teppich zu leeren droht. Ich nehme einen Schluck und stelle sie auf den Tisch, es ist dunkles Bier und schmeckt sehr gut. Ich trinke den Rest und versuche ihn wach zu rütteln, doch es ist nichts zu machen. Dann kommt mir eine Idee und ich rufe ihn an. Sein Klingelton wird lauter und lauter und fungiert wohl als Schlüsselreiz, denn instinktiv greift er nach dem Telefon und erwacht. Ich bin nervös, es ist viertel vor sieben, um viertel nach fährt der Zug und ich erinnere mich nicht, wie weit der Bahnhof entfernt ist.
Djerra hat nach unserem Trinkfest gestern nicht zu Hause geschlafen, weil es mehr als zwei Stunden Weg gewesen wären, sondern bei einem Freund und bis vor einer halben Stunde weiter getrunken, trotzdem ist er einigermassen bei der Sache. Ganna hat ebenfalls verpennt, er ist nirgends zu sehen. Ich sage, dass wir nicht auf ihn warten sollen und gemeinsam treten wir auf die menschenleere Strasse. In Ulaan Baator ist jedes Auto ein potentielles Taxi, viele Autofahrer verdienen sich so etwas dazu, weshalb auch traditionelle Taxiunternehmen nie lange überleben. Ein junger Mongole in einem getunten Auto mit Spoiler nimmt uns mit und geniesst es sichtlich, durch die leeren Strassen zu rasen. Fünf Minuten vor Abfahrt erreichen wir den Zug und verabschieden uns herzlich. Der Zug bleibt trotz geschlossenen Türen noch eine Weile stehen und vor dem Fenster meines Abteils tauchen Djerra und nun auch Ganna auf und winken heftig. Ich gehe zu einem Fenster, symbolisiere mit einer Hand an der Wange einen Schlafenden und hebe mahnend den Zeigefinger in Richtung Ganna und alle lachen. Ich werde die beiden echt vermissen, wie sie so dastehen, Ganna in seinem traditionellen Mantel, der wie eine Uniform aussieht und zerzausten Haaren, Djerra mit Kappe und nicht ganz souverän, etwas windschief auf den Beinen.
Im Abteil, im ganzen Waggon sind nur Mongolen, eine ältere und eine jüngere, sehr hübsche Frau und ein alter Mann. Die Frauen reden maschinengewehrartig miteinander, der Alte und ich sitzen da und schauen ins Leere. Ich habe Nachbrand und frage den Schaffner nach kaltem Wasser, er hat nur Bier da. Er scheint mich nicht zu mögen, doch als ich etwas Deutsches vor mich hin murmle, hellt sich seine Miene auf und er antwortet gebrochen, dass ich auch mit Rubel zahlen könne, Tugrug will er merkwürdigerweise nicht. Ich habe hier öfters festgestellt, dass die Leute mich netter behandeln, wenn sie merken, dass ich kein Russe bin. Man kann es ihnen nicht verdenken nach einem halben Jahrhundert Sovjet-Herrschaft, der unter anderem die mongolische Schrift (sie schreiben kyrillisch), ein erheblicher Teil der Bodenschätze, sowie die meisten religiösen Bauten zum Opfer fielen.
Die mongolische Sitte, schon zum Frühstück Bier oder Vodka zu trinken, sollte ich wohl ablegen, doch noch bin ich ja in der Mongolei. Ich bin mittlerweile ziemlich gut darin, mich mit mit neuen Menschen anzufreunden, ein paar Brocken der Sprache im richtigen Moment platziert, führt zu einem überraschten Lächeln. Am Besten ist es oftmals auch, Essen oder Zigaretten anzubieten, so opfere ich meine kostbare Krakauer Wurst aus Russland, die ich gerne behalten hätte, doch meinen guten Willen zu zeigen scheint mir wichtiger. Die Wurst, wie überall bis jetzt, wird begeistert aufgenommen, die Mongolen haben noch keinen anständigen Salami.
Man merkt, dass ich nicht mehr im Nomadenland bin, es wird nicht so selbstverständlich getauscht und Vodka gibt es auch keinen. Das Eis wird endgültig gebrochen, als der Alte und ich unter Gestöhne versuchen, ein Glas mit Tomatenpüree auf zu bekommen, regelrecht ins Schwitzen geraten, die ältere, dicke Frau es versucht und ohne merkliche Anstrengung auf bekommt und alle lachen. Ich zeige ihnen Bilder und Videos meiner bisherigen Reise, zeige meine Route auf der Karte und sie scheinen recht beeindruckt. Wie immer sage ich, dass ich auf dem Weg nach Dehli bin, um dort zu arbeiten, denn eine solch lange Reise zum Spass auf sich zu nehmen, würde den Meisten hier als Irrsinn erscheinen. Es ist sehr warm im Wagen, die anderen Drei bestehen darauf, den Ventilator anzustellen, worunter ich ziemlich leide, denn seit der eisigen Nacht in der Jurte bin ich recht erkältet. Immer wenn sie schlafen, stelle ich ihn ab, bis jemand aufwacht und ihn wieder anstellt. Die Landschaft kann man schon nicht mehr Steppe nennen, sie gleicht mehr einer Wüste.






Etwas Merkwürdiges ist gerade passiert, der Schaffner, vielleicht aus schlechtem Gewissen, weil er mich vorhin so angeschnauzt hat, zerrt mich förmlich aus dem Abteil und sagt, ich solle mein Zeug mitnehmen. Dann bringt er mich in ein leeres Abteil, fragt, ob ich noch Bier will und für ein paar Rubel stellt er ein Bier nach dem anderen auf den Tisch, an die 9 Stück, dann stürmt er hinaus. Es ist mir peinlich vor den zwei Frauen und dem Alten. Es ist das erste Mal, dass ich aufgrund meiner Herkunft bevorzugt behandelt werde und es fühlt sich nicht gut an. Wenigstens kann ich hier den Ventilator abstellen, ohne jemanden zu beleidigen. Nach und nach kommen aus dem ganzen Zug Leute und kaufen mir das Bier wieder ab, am Schluss bleibt mir gerade noch eines für mich selbst.


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