Montag, 18. Oktober 2010

Tag 20/21, Grosse Mauer, Zhang Jia Kou / Verbotene Stadt

Im Morgengrauen gehen wir durch die ungewohnt leere Stadt, erst am Bahnhof finden sich wieder die gewohnten Menschenmassen. Wir klettern auf das oberste der drei Etagenbetten und schlafen ein paar Stunden, bevor wir in Zhangjiakou ankommen. Diese kleine Stadt, wie sie Mike nennt hat um die 800'000 Einwohner und war in seiner Geschichte schon immer ein militärischer Vorposten der Hauptstadt, „Pekings Nordtor“. Aus diesem Grund war sie auch bis vor ein paar Jahren für Ausländer gesperrt.



Viele chinesische Touristen sind im Zug, kehren vom Feiertagsfest in Beijing in ihre Provinz zurück. Der Feiertag ist, zumindest in diesem Jahr, nicht so wie man ihn sich vorstellt, es gibt keine Paraden, keine Panzer, nicht einmal Hinrichtungen, der einzige Unterschied zu einer normalen Woche sind die vielen chinesischen Flaggen und die verdoppelte Bevölkerungszahl. Als wir durch die Stadt gehen, werde ich noch mehr angeschaut als in Beijing- Obwohl wir zwei Stunden durch die Stadt gehen, essen, einen Regenschutz kaufen, sehe ich keine anderen Ausländer. Eine ältere Frau am anderen Tisch spricht mich auf englisch an, als Mike auf der Toilette ist, fragt ob ich hier arbeite. Ich sage, ich sei Tourist und wegen der Mauer hier, was sie ziemlich zu verwirren scheint. Sie stellt mich ihren Begleiterinnen vor. Diese stammen aus Japan, arbeiten hier in einer neu gegründeten japanischen Schule als Lehrer und kichern überrascht, als ich meine japanischen Begrüssungsfloskeln raus krame. Ihre Mienen klären sich auf, als Mike zurückkehrt, die Frau sagt, „ah, you have chinese friend, that's why you come here.“
Mike erklärt, dass die Stadt für Touristen nicht attraktiv ist, es sei schwer, sich in den engen, nur chinesisch angeschriebenen Gassen zurechtzufinden, weiter ist es zeitweise beinahe unmöglich einen Zug zurück nach Beijing zu finden und schliesslich gibt es hier nur die originale Mauer und nicht die „New Wall“, wie sie von den Chinesen genannt wird, also die restaurierte Mauer für Touristen, die man auf allen Bildern sieht. Es regnet und die Strassen gleichen Schlammrutschbahnen, nach einer Weile erreichen wir die Mauer. Für einmal hält der Namen auch in China, was er verspricht, es ist eine grosse, lange Mauer. Nach einem Gewaltmarsch durch die wunderschöne Landschaft und über tausende von Treppen, triefend vor Regen und Schweiss, kommen wir oben an. Der Anblick ist atemberaubend, Nebel verhangene Hügel, kleine Türmchen darauf, gewissen Bergregionen in der Schweiz nicht unähnlich.
Wir stehen vor einem Mauerabschnitt, schon ziemlich weit weg vom offiziellen Teil und Mike sagt, dass er hier schon immer mal über die Mauer balancieren wollte, seit er als Kind das erste Mal hier war und bevor er zu alt dafür werde. Ich bin kein grosser Freund von Höhen, die Mauer ist oben vielleicht 30 cm breit und stellenweise 5 Meter hoch, aber ich nicke.





Zum ersten Mal bereue ich es, nur meine Adidas-Turnschuhe mitgenommen zu haben. Die Mauer ist nicht viel mehr als eine Ansammlung loser Steine, die links und rechts hinunter purzeln, als ich, zeitweise auf allen Vieren, über sie steige. Der Vorteil bei Turnschuhen ist, dass man den Untergrund durch die Sohlen merkt, die Stabilität der Steine also besser erkennt, der Nachteil, dass meine Füsse schon den ganzen Tag nass sind, die Stadt war eine grosse Pfütze. Ich schaue nach Mike, entdecke, dass er chinesische Schuhe trägt, die bei uns wohl als Balettschuhe gelten würden und muss lächeln.
Nach vielleicht einer Stunde Kraxelei über die Mauer, merken wir, dass die Mauer zu Ende ist. Ein Berg tut sich vor uns auf und dient als natürliche Mauer. Zurück können wir nicht, also klettern wir die Mauer senkrecht hinunter. Habe ich schon erwähnt, dass ich kein grosser Freund von Höhen bin? Ich rutsche etwa in der Hälfte ab und reisse mir die Hand auf. Unten betrachtet Mike die Hand, fragt, ob ich für die Reise versichert bin. Ich nicke, er sagt, dann sei es ja kein Problem und lacht. Ich denke, dass ich beinahe von der chinesischen Mauer geflogen wäre und daran, dass sich das im Nachruf äusserst gut machen würde und lache ebenfalls. Wir sind im Nirgendwo und daran, dass mich Mike mich fragt, welchen Weg wir einschlagen sollen, merke ich, dass wir uns verirrt haben. Tal ist immer gut, sage ich nach einer Weile und er stimmt zu. Wir gehen durch nasses, dichtes Gebüsch, klettern hinauf und hinunter, bis wir nach einer Weile eine verrostete Wasserleitung entdecken und dieser folgen. Ich rutsche aus und versaue mir mein einziges paar lange Hosen.




Als es dunkel zu werden beginnt kommen wir zu einem Haus und frage nach dem Weg. Wir nehmen einen Sammelbus und die Leute schauen uns tuschelnd an, zwei nasse, schmutzige Männer, einer mit Beijing Dialekt, der andere mit Blut verkrusteter Hand. Der Zug hat Verspätung, über eine Stunde, ich höre Roy Harpers Stormcock, Mike liest in seinem Antiquitätenbuch.
Als wir Richtung Speisewagen gehen, sind ausnahmslos alle Augenpaare auf mich gerichtet, Leute stupsen sich an und zeigen auf mich. Von der Kletterei immer noch in einer Art erschöpften, urtümlichen Trance, senke ich nicht wie sonst den Kopf und gehe weiter, sondern erwidere die Blicke, starre gewisse, besonders aufdringliche Blicke regelrecht nieder, nehme es nicht hin, ausgestelltes, exotisches Tier im Zoo zu sein, heute nicht. Im hoffnungslos überfüllten Zug finden wir, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, zuhinterst im Speisewagen zwei freie Plätze, zahlen gerne die 30 Yuan, obwohl wir nicht hungrig sind.



Neben uns im Speisewagen sitzen ziemlich merkwürdige Gestalten, trinken ein Bier nach dem Anderen, schreien herum, spucken die Schalen der Pistazien auf den Tisch, Mike flüstert mir in einem günstigen Moment zu, dass unsere Tischnachbarn Triaden seien. Das erklärt auch, weshalb die Plätze noch frei waren, niemand wagt es, sich hinzusetzen. Ich würde wirklich gerne ein Foto machen, denke, aber, dass ich heute schon genug Blessuren in Kauf genommen habe. Sie sind die einzigen im Wagen, die rauchen, obwohl es verboten ist und übertragen dieses Privileg auf uns, drängen uns geradezu, mit ihnen mit zu rauchen. Ich tue so, als würde ich die Bilder auf meiner Kamera betrachten und mache unauffällig zwei Fotos, die aber nicht viel hergeben. Mike kennt diese Taktik von mir und schüttelt unmerklich und wie mir scheint ernstlich beunruhigt den Kopf. Die Triaden gehen in ihr Abteil und auch danach setzt sich niemand auf ihren Platz, obwohl die Gänge voll von stehenden Leuten sind.



Nach Elf fahren in Beijing keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, die Stadt hat um diese Zeit viel von einem Provinzstädtchen, wir nehmen ein Taxi und zuhause falle ich ins Bett.

Der Morgen ist übel, die Opernsängerin ein Zimmer weiter übt schon seit acht für irgendeinen Auftritt und alle Glieder meines Körpers schmerzen. Zum ersten Mal seit Beginn meiner Reise habe ich eine echte Sinnkrise, stelle das ganze Unterfangen in Frage, das chinesische Geschrei draussen nervt mich, die hupenden Motorräder und Autos in meiner Gasse nerven mich, dass es hier kein anständiges Brot oder Milch zum Frühstück gibt, nervt mich. Mike hat mir erzählt, dass die Leute in Beijing keine Milch trinken, weil der Transport hierher mehrere Wochen dauert und sie der Echtheit der hier angebotenen Milch nicht vertrauen.
Der Tag will nicht besser werden, die Alte in meinem Lieblingsrestaurant stellt mir Lebersuppe hin, eines der wenigen Gerichte, die bei mir Brechreiz auslösen. Ich bestelle etwas anderes dazu, esse nur das und tue so, als hätte ich einen wichtigen Termin, um sie nicht damit zu kränken, dass ich die Suppe stehen lasse. Auf dem Tiananmen-Platz hat es noch mehr Menschen als gestern. An einem Tiefpunkt angekommen, beschliesse ich das zu tun, was mich immer aufzuheitern vermag. Ich gehe in ein Teehaus, das mir wie eine Oase inmitten des Chaos erscheint, trinke ein paar Bier, suche auf meinem iPod nach „Back To Mono“ von Phil Spector und gehe, leicht angeheitert zu den besten Klängen, welche die Jahre 1958-1969 zu bieten haben, zur verbotenen Stadt. Ich treibe mit der Menge, zwinkere den mich angaffenden Touristen aus der Provinz zu, rauche, sitze in der Sonne, betrachte die Pedalos im Zhongnanhai.







Meine Laune ist vollends wieder hergestellt, als ich nach Hause komme und folgende E-Mail von Djerra aus Ulaan Baatar lese:

Hallo mein Trinkfreund,
Ich habe ne Neuigkeit. Ich war bei der zustaendigen Amt wegen der Name von der Firma. Lupus, Bussard Highland und OMG, diese 4-Namen habe ich gegeben und was passiert!!! alle Namen ausser OMG wurden vergeben und ich habe der Name OMG bekommen. Ein Glueck, das du hier warst und diese Idee mir gegeben hast. danke mein Freund!
Wo bist jetzt gerade unterwegs Philip?

schoene Gruesse aus der Mongolei
Die Tuer in die Mongolei ist fuer dich IMMER offen und ausserdem warten deine Pferde auf dich.
Jagaa


OMG repräsentiert in Zukunft also auch in der Mongolei, denke ich, grinse vor mich hin und döse weg, während die Frau nebenan zu einer neuen Arie ansetzt.

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