Freitag, 8. Oktober 2010

Tag 18, Beijing: Antiquitätenmarkt

Am nächsten Morgen geht es mir aber besser. Wir gehen auf einen Antiquitätenmarkt und erstaunt stelle ich fest, dass ich der einzige Ausländer bin. Beijing ist vielerlei Hinsicht eine Fassadenstadt, die Touristenströme werden effektiv und geübt entlang der Sehenswürdigkeiten gelotst, aufgrund der enormen Menschendichte fallen die paar Ausländer zudem nicht auf. Wie auf meiner gesamten bisherigen Reise, bewahrheitet sich auch hier. Ein guter Guide oder lokaler Bekannter ist mehr wert als alle Tipps, Karten und Reiseliteratur zusammen. Auf den ersten Blick kostet er zwar etwas mehr, als wenn man selbst gehen würde, doch spart man enorm Nerven und lernt das Land auf grundlegend andere Weise kennen.


Mit Mike habe ich ein besonderes Arrangement, ich lade ihn zum Essen ein, zahle die U-Bahn und Taxifahrten, wenn wir zusammen sind, kaufe ab und zu eine seiner Antiquitäten ab und gebe ihm am Schluss einen kleinen Betrag. Er lebt geschieden oder getrennt, und sieht seinen Sohn nur ab und zu und ich glaube er ist froh, einen Gefährten zu haben. Oft sitze ich einfach nur bei ihm herum, trinke Tee, tippe in meinen Laptop, während er an der Börse spekuliert. Er ist für mich, vielmehr noch als die riesigen Industriequartiere und gewaltigen Bürogebäude das wahre Sinndild für Chinas Potential.



So sitzt er in seinem Hutong, das vielleicht so gross wie mein Schlafzimmer ist, ihm als Büro, Bett und Essraum dient, voll gestopft ist mit Antiquitäten und Photos seiner Touren, während er drei Jobs gleichzeitig hat, Tourguide, Börsenspekulant (wie etwa 15 % der chinesischen Bevölkerung) und Antiquitätenhändler.








 
Er zeigt mir ein Buch mit Grüssen, Danksagungen, Visitenkarten seiner Gäste aus aller Welt, die er in den letzten 20 Jahren angesammelt hat.






Wir sind also auf dem Markt, unzählige Gassen, Tücher am Boden, darauf die Scherben, Schmuckstücke, Vasen, Statuen, Bücher, Leinwände, alten Fotoapparaten und Sonnenbrillen, Uniformen, Helme, Bajonette aus der Maozeit, Steine und hundert andere Dinge. Als ich frage, wieviel Prozent der Dinge hier gefälscht ist, sagt Mike „90%“ und nach einer Weile „maybe 99%“. Die Chinesen sind Meister des Kopierens und alt- aussehen -lassens. Man könnte ihnen eine Ikea-Vase geben und einen Tag später sähe sie aus, als stamme sie aus der Tang-Dynastie. Mike kauft einige Scherben, die einfacher auf Echtheit zu überprüfen sind als ganze Vasen, wegen der Struktur der Bruchstelle und für mich einen shu zhu oder mala, einen buddhistischen Rosenkranz. Er ist echt und „very old“, was hier als Synonym für hochstehend gilt, die Perlen sind aus Hirschhorn gemacht und sehen wirklich echt aus. Zum entscheidenden Urteil gehen wir zu einem Freund von Mike, trinken Tee und er begutachtet meinen shu zhu. Nach einer Weile nickt er.



Im Buddhismus stehen die 108 Perlen des shu zhu für die 108 Bände der gesammelten Lehren Buddhas. Im Hinduismus stehen die 108 Perlen für 108 Namen oder Attribute der angebeteten Gottheit. Es gibt auch dutzende andere Erklärungen (Stichwort Klesha, Störgefühle) für die Zahl 108, jedenfalls ist sie den Buddhisten heilig. Der Tempel, den ich in der Mongolei besucht habe, hatte auch 108 Treppenstufen. Bei jeder Perle sagt/denkt man ein Gebet oder Mantra, die Analphabeten, zählen auch oft nur.
Zurück in Mikes Hütte zähle ich mit dem Daumen die Perlen, nach all dem Schein und den Fälschungen will ich etwas Echtes, etwas, das stimmt. Zuerst sind es 110, dann 109 und seitdem immer 108.




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